Varanasi
26. Januar 2013Nach einer weiteren Nacht im Zug, sind wir in der heiligsten Stadt Indiens – Varanasi – angekommen. Am Bahnhof wurden wir von einem Fahrer unseres Guesthouses abgeholt, da es ansonsten fast nahezu Unmöglich ist, die gewünschte Unterkunft, in den engen verworrenen Gassen zu finden. Die letzten Meter ging es dann vollends zu Fuss durch ein Labyrinth zwischen den Häusern und alles voller Menschen und Kühen und vorbei an unseren ersten 3 Toten. Für einen Hindu ist es das Höchste in Varanasi zu sterben, da dies den sofortigen Eintritt ins Nirvana verspricht, selbst mit einem schlechten Karma während des Lebens, weswegen viele alte Menschen hierher pilgern, um Erlösung zu erlangen.
Unser Persönliches Ziel war es, uns erst einmal von einem fiesen Magen-Darm-Virus zu erlösen, den wir, bzw. hauptsächlich Joga schon vor über einem Monat eingefangen hatte und der uns immer mal wieder zu schaffen gemacht hat. Deswegen haben wir zum ersten Mal auf unserer Reise ein Krankenhaus aufgesucht. Im Internet hatten wir uns eine Privatklinik ausgesucht, da wohl der Besuch eines staatlichen Krankenhauses zu den Erfahrungen zählt, die man nicht unbedingt machen muss. Im Krankenhaus angekommen, wurden wir auch sofort zu einem Arzt geschickt, der etwas schläfrig wissen wollte, was unsere Beschwerden sind. Nachdem er noch Jogas Bauch abgehorcht hatte, hat er uns ein Rezept mit vielen bunten Pillen ausgestellt und die Behandlung war abgeschlossen. So bekamen wir in der Apotheke eine Packung Antibiotika, eine Packung Schmerztabletten, ein paar Durchfall-Stopper, ein paar Päckchen Elektrolyt-Brause-Lösung und noch ein paar bunte Vitamin-Pillen – und das ganze mal zwei, da Doris zur Sicherheit dieselbe Medizin eingenommen hatte. Gesamtkosten: unter 3 Euro! Nachdem wir noch eine Deutsche Bäckerei, bei der es täglich frische Schokocroissants gab und einen kleinen Japaner mit sauberen und unglaublich leckeren japanischen und koreanischen Gerichten entdeckt hatten, stand unserer Genesung nichts mehr im Wege. Dank dem Antibiotikum wieder einigermassen fit, konnten wir uns langsam vor die Tür unseres Guesthouses wagen und die indischste aller Städte geniessen. Nun doch schon einige Monate in Indien, übertraf diese Stadt, alles bisher Gesehene. Diese Stadt ist so unglaublich intensiv, wie eine Art Opiat – um dies überhaupt alles in sich aufnehmen zu können, muss man sich, wie die ganzen Pilger, treiben lassen.
Varanasi ist dreckig. Was nicht mehr gebraucht wird, landet auf den Strassen. Kuhfladen machen die schmalen Gassen zu Rutschpartien. Die meisten Pilger sind barfuss unterwegs. Männer und Frauen pinkeln an Hausecken. Es stinkt. Die Abgase vom Strassenverkehr hängen in der Luft. Dazwischen sitzen Bettler und fragen nach Almosen.
Varanasi ist laut. Jedes Gefährt ist mit einer Hupe oder Klingel ausgestattet, die im Dauereinsatz benutzt wird, um sich seinen Weg durchs Chaos zu bahnen. Hunde bellen. Aus den hinduistischen Tempeln hallen Gesänge und Mantren. Dazwischen ruft der Muezzin die islamische Bevölkerung zum Gebet. Passanten spielen in voller Lautstärke die neusten Bollywood-Songs auf ihren Mobiltelefonen ab.
Varanasi ist voll. Die Gassen sind überfüllt von Menschen, Pilgern, religiösen Umzügen, Leprakranken und Kühen. Totenträger bahnen sich ihren Weg durch die Massen. Vor jedem Haus werden Opfergaben verkauft. Dazwischen wird gekocht und gegessen.
In keiner anderen Stadt dieser Welt, sind Leben und Tod so nah miteinander verbunden. Der heilige Ganges vereint Beides. An den Ghats, die mit ihren Stufen direkt in den Fluss führen, wird meditiert, Wäsche gewaschen, sich selbst von oben bis unten eingeseift, den Kindern die Zähne geputzt und Mundspülungen durchgeführt. Wasserbüffel baden im Fluss, Tierkadaver schwimmen vorbei, Kinder plantschen im Wasser. An diesem Ort ins Wasser zu tauchen, bedeutet sich vom schmerzlichen Kreislauf von Geburt bis Tod zu befreien und sich von Sünden reinzuwaschen. Doch in Wirklichkeit riskiert man eher den vorzeitigen Tod, da die Belastung des Wassers durch Kolibakterien bis zu 2000-mal höher ist, als in Indien erlaubt, und hohe Konzentrationen an Giftsoffen, wie Blei, Arsen und Quecksilber enthält.
Auf der Dachterrasse sitzenden und Tagebuch schreibend, ging ein ständiger Ascheregen auf meine Seiten nieder, der vom nahegelegenen Verbrennung-Ghat herübergeweht wurde. Auch ist ein ständiger Rauchgeruch in der Luft. Zwischendrin jagt eine Horde wilder Affen über die Dächer, auf der Suche nach was Essbarem. Besonders faszinierend sind die Ghats am Abend, wenn die Sonne hinterm Horizont verschwunden ist. Am Haupt-Ghat finden allabendliche Feuerzeremonien statt, wo man sich segnen lassen kann. An den Strassenrändern sitzen unzählige Leprakranke, an die wir immer unser angesammeltes Münzgeld verteilt haben.
An den Verbrennungs-Ghats brennen die Feuer 24 Stunden. Die Toten werden auf Bahren zum Ganges getragen und kurz ins Wasser getaucht und auf einen bereits brennenden Scheiterhaufen gelegt, der von den „unberührbaren“ Totenwärtern vorbereitet wurde. Kühe laufen zwischendurch, Hunde suchen sich noch essbares, man spürt die Hitze der Feuer auf der Haut. Etwas abseits auf einer Treppenstufe sitzend, als Weisser unerkannt, das ganze Geschehen zu beobachten und auf sich wirken lassen, hat es etwas unglaublich faszinierendes, in Worten kaum zu beschreibendes an sich. Man hört ein Kinderlachen zwischendrin. Ein süsser Chai-Tee zwischen unseren Händen, ein Bollywood-Song erklingt. Der Tod verliert an Schrecken – alles ist ein Kreislauf.
Varanasi ist Faszination. Trotz des Drecks, Lärms, Gestanks versprüht diese älteste und am längsten durchgehend bewohnte Stadt dieser Welt einen Zauber, dem man sich kaum entziehen kann. Wunderschöne alte Häuser, oftmals blau angemalt, in der Farbe Shivas, Blumengirlanden, bildhübsche Menschen – die meisten haben ein Lachen auf dem Gesicht, farbenprächtige Saris. Während unseres Aufenthaltes war zudem noch internationales Kite-Festival. Dabei lassen Kinder den ganzen Tag Drachen steigen. Alle Familien treffen sich auf den Dächern, es wird geredet, gelacht, Chai getrunken, Musik gespielt, der Himmel ist geschmückt mit lauter bunten Punkten der Papierdrachen. Varanasi ist wunderschön.
Begegnungen der besonderen Art – in einer Stadt mit 1,2 Millionen Einwohnern und hunderttausende Pilger täglich, sind wir wie durch ein Wunder jedes Mal Goblan, unserem “Opi“ in den verwinkelten Gassen begegnet. Ein alter Milchbauer, der mitten in Varanasi seine zwei Kühe in einem Stall in seinem Haus hält und Milch an die verschiedenen Geschäfte ausliefert. Auch als wir gerade einen Spaziergang an den Ghats entlang des Ganges gemacht und der Himmel sich sehr schnell dabei verdunkelt hat, ruft es auf einmal von einer Art Terrasse nach uns. Oben stand Goblan, gerade fertig mit seinem täglichen Bad im Ganges und seinen Yogaübungen und hat uns vor dem nahenden Unwetter gerettet. Kaum oben bei ihm angekommen und Schutz in einem kleinen Tempel suchend, hat es anfangen mit stürmen und hageln. Wir haben selten in unserem Leben einen Menschen getroffen, der so sehr mit sich und der Welt im reinen ist und dies auch ausstrahlt. Ein Mensch, der sehr schnell einen Platz in unserem Herz gefunden hat.
Für die Gesundheit unserer Familien und Freunde haben wir Blumen-Schiffchen auf dem heiligen Ganges auf die Fahrt geschickt – Lebensader Ganges.
Nach einer Woche in der heiligsten Stadt der Hindus, ging es weiter nach Bodhgaya dem wichtigsten Pilgerort der Buddhisten.
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