Varkala
6. November 2012In unserem Reiseführer wird erwähnt, dass hier in Indien die legendäre Royal Enfield (das älteste Motorrad der Welt) immer noch nach den britischen Originalplänen hergestellt wird, und dass viele Urlauber nur wegen dieses Motorrads nach Indien kommen um hier den Sound der Freiheit (500cc, 1-Zylinder, Viertakter) zu fühlen. Und da der beste Freund von Jaison einen Motorrad-Verleih in Cochin besitzt und gleich um die Ecke ist haben wir uns das mal angeschaut. Cooles Teil – mhhhhh … kurz überlegen, Probefahrt gemacht – OK wir nehmen eine für 5 Tage. Ich bin zwar das letzte Mal vor knapp 20 Jahren Motorrad gefahren aber das wird schon klappen – und in Thailand und Indonesien sind wir ja auch regelmässig auf einem Scooter durch den chaotischen Verkehr gebraust.
Man nächsten Morgen unsere Rucksäcke ans Motorrad gepackt und los auf einer kleinen Küstenstrasse Richtung Süden. Nach 1,5 Stunden hatten wir dann gleich unsere erste Panne. Auf der Schotterstrasse hab ich mir treffsicher einen Nagel ins Hinterrad gebohrt und wir hatten einen Platten! War dann aber irgendwie gar kein Problem. Nach 30sek stand schon ein junger Inder mit seinem Motorrad neben uns und hat gefragt ober er uns helfen kann. Er hat mich dann 2km weiter in ein Dorf zu einer „Werkstatt“ gefahren – eigentlich nur eine halbe Blech Hütte mit ein paar Ersatzteilen davor – die zwei Mechaniker sind dann mit ihrem Moped und ich mit dem jungen Inder wieder zu unserem Motorrad zurück gefahren, an dem Doris solange gewartet hatte. Die haben dann kurz das Hinterrad ausgebaut und mitgenommen … in der Zwischenzeit hat sich eine halbe Schulklasse um uns herum versammelt … alle wollten fotografiert werden, und auch sonst wahren wir wohl das Highlight des Dorfes. Es kamen immer mehr Leute, und nach ca. 45min auch wieder die zwei Mechaniker mit unserem reparierten Hinterrad und haben es schnell wieder eingebaut. das Ganze hat 150 Rupien also ca. 2 Euro gekostet!!! Mussten uns dann bei einem Dorfbewohner noch die Münzsammlung anschauen und dann ging’s weiter Richtung Varkala. Da wir auf Grund der Panne das natürlich nicht mehr schaffen, haben wir in Alleppey eine Nacht geschlafen. Auf dem Weg entlang der Küste wieder wunderschöne chinesische Fischernetze gesehen, und festgestellt das man ein paar Kilometer entfernt von Touristen-Attraktionen als Weisser echt noch eine Inder-Attraktion ist. Bei der Fahrt oder bei einem Stopp am Strassenrand wird einem entweder hemmungslos lächelnd zugewinkt oder den Leuten fällt der Unterkiefer nach unten und man wird mit offenen Mäulern neugierig angestarrt.
Am nächsten Tag mussten wir (wegen den Backwaters) weiter auf die grosse Bundesstrasse etwas weiter im Landesinneren, da man an der Küste entlang nicht bis nach Varkala fahren kann. Oh Gott, oh Gott, oh Gott – was für ein Verkehr!!! Und die Überholmanöver der entgegenkommenden Busse!!! Im Vergleich dazu ist der Verkehr in Thailand & Indonesien so spannend wie eine regionale Briefmarken-Ausstellung. Das normale Szenario sieht ungefähr wie folgt aus: Auf einer normalen Strasse kommt einem ein Tuktuk entgegen, dies wird gerade von einem Auto überholt. Das Auto wiederum wird gerade von einem Bus überholt, was bedeutet, dass Wir (also der gesamte Gegenverkehr) abbremsen und auf den unbefestigten Seitenstreifen ausweichen muss! Aber nach 1-2 Stunden gewöhnt man sich daran, wenn man weiss wie das System funktioniert und am Ende des Tages war ich auch schon fleissig am Überholen und hupen.
Wir waren dann 3 Nächte in wunderschönen Varkala, einem Pilgerort für Hindus die hier die Asche ihrer kürzlich verstorbenen Angehörigen dem Meer übergeben. Und wie man sich vorstellen kann zieht so ein spiritueller Ort der zugleich auch Zentrum der Ayurvedischen Heilmedizin ist viele Hippies und Alternativdenkende an. Auf dem Fussweg von unserer abgelegenen Unterkunft in Dorf sind wir an einer halben Holzhütte mit der Aufschrift “Teehouse“ vorbeigelaufen und wurden auch gleich vehement herein gewinkt. Die der englischen Sprache nicht mächtigen älteren Damen haben uns sofort neben dem bestellten Chai-Tee auch gleich noch ein indisches Frühstück aufgetischt. Jeder eine Banane, ein Puri-Kracker und 2 Iddli mit Kokos-Chili-Chutney. War lecker & lustig! Weiter zum Tempel und uns die Zeremonie soweit es uns erlaubt war angeschaut, ein bisschen durchs Dorf geschlendert und weiter zum tibetischen Markt. Hier gab’s auch ein schnuckeliges Restaurant, und so haben wir den Rest des Tages auf der Terrasse im “Little Tibet“ verbracht und uns über die “den Mittelpunkt ihres Lebens suchenden, alleinreisenden Frauen“ amüsiert. Am nächsten Tag sind wir zum “Beerdigungsstrand“ und haben uns die Zeremonie mit gebührendem Abstand angeschaut. Vorher zum Frühstück in einen Chai-Laden, und als wir gesehen haben was die Jungs da neben uns essen war klar – das wollen wir auch! Appam mit Kokosdip und Chili-Omlett! Wieder lecker & lustig. Auf dem Rückweg zu unserer Unterkunft sind wir am Strand und an den roten Klippen entlang gelaufen, und als wir die ganzen Kinder beim Planschen gesehen haben wollten wir das natürlich auch. So haben wir uns in die Wellen geschmissen und den zweiten Lazy-Day wieder gemütlich ausklingen lassen.
Auf dem Rückweg nach Cochin wollten wir durchs Hinterland fahren und vielleicht auch noch die Tour ein bisschen verlängern – also über Kumily und über Munnar fahren. Im Hinterland haben wir dann immer „Sabarimala“ angeschrieben gesehen – das ist ein großer Tempel mitten im Wald der neben der Straße liegt die wir fahren wollten, also sind wir immer den Schildern gefolgt. In Pampa dem letzten Ort vor dem Tempel angekommen haben wir festgestellt, dass die Straße hier endet!!! Die paar Jungs die wir gefragt haben meinten wir müssen ca. 25km die kurvige bergige Strasse zurück fahren und dann am Abzweig nochmal ca. 25km weiter bis Erumeli fahren … so kommen wir nach Kumily und dort gibt es auch die nächste Übernachtungsmöglichkeit. Ok – erste Erkenntnis: Die drei Reise-Know-how Indien-Karten die wir uns extra von Diana & Andi haben mitbringen lassen stimmen wohl nicht ganz … zweite Erkenntnis: Tages Etappen nicht zu knapp kalkulieren. Da es schon langsam dunkel wurde haben wir uns dann entschieden in Erumeli zu übernachten, auf dem Weg dorthin sind wir dann aber noch von einem sintflutartigen Gewitter überrascht worden, so dass wir uns 10km vor dem Ziel erst mal eine Stunde bei einer Familie am Straßenrand untergestellt haben. Komplett nass (inkl. Gepäck) waren wir dann um ca. 20 Uhr in einem Hotel. Erumeli ist eigentlich ein kleines beschauliches Dorf und auch weiter nicht sonderlich bekannt. Nur für Pilger ist es der Ausgangsort für den 61km langen Weg zum Sabarimala-Tempel, und mit jährlich 40-50 Millionen Gläubigen handelt es sich hier um den grössten Pilgerzug der Welt.
Am nächsten Tag ging’s dann doch auf kürzestem Weg nach Cochin zurück, weil wir zum einen auch noch mit der Rücktrittbremse Probleme hatten (ich glaub der Belag war mittlerweile weg), und Doris war die Regen-Nacht-Fahr-Aktion ein bisschen “to much“. Die Rückfahrt ging eigentlich super, aber 3km vor dem Ziel hat das Motorrad immer mehr angefangen zu eiern – wir haben uns dann entschieden das letzte Stück halt doch noch zu fahren, und als wir bei der Moped-Vermietung in Cochin waren hat der Besitzer gesehen, dass am Hinterrad mindesten 10 Speichen gebrochen sind. Die und die 3.5 Stunden Überzeit hat uns dann noch 150 Rupien gekostet, was echt fair ist. Was für ein tolles Abendteuer und seit diesen Tagen überlegen wir uns ständig ob wir nicht viel mehr in Indien mit dem Motorrad bereisen sollen.
Zitat aus dem Buch “Shantaram“ von Gregory David Roberts, das ich gerade lese und das in Indien spielt:
„Wenn man annimmt, dass Wohlbefinden und Glück an reichlichen und guten Mahlzeiten, an Gelächter, Gesang und Grundfreundlichkeit festzumachen sind, dann übertreffen die Inder die Menschen im westlichen Teil der Welt bei weitem.“
Hallo ihr Zwei,
schön nach euren „direkten Meldungen“ nun auch die Berichte in voller Länge in eurem Blog zu lesen. Shantaram hat mich auch schwer gefesselt…
Liebe Grüße vom winterlichen Bodensee,
Heiner.